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Autor: Clemens Meyer

Verlag: S. FISCHER

Seitenzahl: 176

  • Preisca. 18 €

Der Untergang der Äkschn GmbH

Zwischen Kunst und Trash

In den letzten Jahren ist der Name Clemens Meyer längst nicht mehr nur in Leipzig wohlvertraut: Als packender, mitreißender Autor, als Stimme der Randexistenzen und Schattengestalten, der Erniedrigten und Beleidigten, machte er von sich reden, wurde mehrfach ausgezeichnet; sogar im Film-Business ist er als Drehbuchautor angekommen. Erst im letzten Jahr war er Stadtschreiber der Stadt Mainz, wo er sich jedoch so unwohl fühlte, dass er, wie er in der „Zeit“ schrieb, lieber in der Pleißenmetropole weilte.

Hier kennt er sich aus, kennt die Menschen, den Menschenschlag, das Milieu. Seine Protagonisten sind Außenseiter im existenziellen Strudel, denen der Autor sich so sanft nähert, dass die Frage der Grenze zwischen Biografie und Werk Meyers fatamorganisch verfließen. Clemens Meyer aber, selbst so etwas wie ein Außenseiter im Literaturbetrieb – jenseits gängiger Klischees der Autorenschaft – entzog sich diesen Fragen bislang mit dem Verweis, sein Werk spreche für sich.

Seit Ende des letzten Jahres liegt nun das vielleicht persönlichste, aber auch ungewöhnlichste Machwerk des Autors vor, das unter dem markanten Titel „Der Untergang der Äkschn GmbH“ die Vorlesungen vereinte, die Meyer 2015 als Frankfurter Poetikdozent hielt. Dies ist zweifelsfrei eine große Ehre, versammeln diese Vorlesungen doch den Kanon der Gegenwartsliteratur seit der ersten Dozentin Ingeborg Bachmann über Heinrich Böll, Martin Walser, Christa Wolf, Wolfgang Koeppen, Günter Grass (2006 tönte Meyer in einem Interview, Grass habe bei seinen Lesungen immer zwei Gläser Korn getrunken – als er anschließend las, trank er die Flasche aus … Teil des selbstkonstruierten Meyer-Mythos?), Walter Kempowski, Uwe Timm und – 2014, im Jahr vor Meyer – Daniel Kehlmann, dessen gedruckte Vorlesungen in den Feuilletons als meisterhafte Essayistik besprochen wurden, als ein Hohelied auf die Stilistik, vor intelligenten, augenzwinkernden Referenzen auf Kunst und Kultur nur so strotzend.

Und nun Meyers „Äkschn GmbH“: „Wer oder was ist die ÄKSCHN GMBH?“ – um diese Frage, die indessen, ohne vorzugreifen, nicht vollends geklärt wird, kreisen seine Vorlesungen. Perry Rhodan und Juri Gargarin sind Ehrenpräsidenten, Kapitäne der Äkschn GmbH sind Joseph Conrad und Hans Henny Jahnn, und auch mit dabei: Der NSU-Prozess, Bud Spencer, A-HA und Helene Fischer, Eichendorff und die deutschen Romantiker, Richard Wagner, Sigurd und Wallenstein: Ein komplexer Mikrokosmos, in dem das Verständnis dessen, was Kultur ist, erweitert und auf einen saloppen Nenner gebracht wird – Bewusstsein.

„Alles begann mit Hemingway“, so Clemens Meyer in den Vorlesungen, aber er doziert auch über die Lektüre von Uwe Johnson, Raymond Chandler, Brigitte Reimann oder Werner Heiduczek, ohne konkrete Informationen oder Fakten zu bedienen. Oder über John Carpenter, dessen Film „Assault on Precinct 13“ er vor über 20 Jahren auf dem Trödelmarkt erwarb und nun in einen Murot-Tatort umwandeln will. In den Vorlesungen sind sie alle Mitglied der Äkschn GmbH in einem eigenwilligen Cut-Up. Ziel, so der Autor selbst, sei gewesen, keine „didaktischen Scharmützel“ zu veranstalten – sondern zu unterhalten, alles in einen Topf zu schmeißen, alles zusammenzuwerfen und kräftig darin zu rühren. Da kommt zum Beispiel plötzlich eine Top-Ten von Meyers Buch-Lieblingstiteln vor, worunter, Wunder über Wunder, zwei Meyer’sche Titel selbst sind („Als wir träumten“ und „Die Nacht, die Lichter“).

Verwirrend, wirr, irre, manisch, gewaltig – die Vorlesungen entziehen sich einer genaueren Beurteilung, ebenso einer rationalen Kategorisierung wie Sinn und Unsinn. Ist es epistemologisch zielführend, B-Movies und Soft-Pornos, Comic-Hefte und literarische Meisterwerke, Reflektionen und Visionen nebeneinanderzustellen?

Zumindest versammeln die Frankfurter Poetikvorlesungen den Rohstoff, aus dem Clemens Meyer formt, und bieten einen ehrlichen und persönlichen Einblick in die Absurdität längerfristiger Denkprozesse, die in einem Bewusstseinsstrom ersten Ranges münden.

Im Frühjahr 2017 erscheint der neue Erzählungsband „Die stillen Trabenten“

Johannes Bolte


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