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Winesburg, Ohio Autor: Sherwood Anderson

Verlag: Manesse Verlag

Sonstiges: Übersetzt von Eike Schönfeld
Mit einem Nachwort von Daniel Kehlmann

Seitenzahl: 304 Seiten

  • Preisca. 22 €

Winesburg, Ohio

Die groteske Wahrheit

Ernest Hemingway bemerkte 1923, es habe einmal so ausgesehen, als strebe Sherwood Anderson Richtung Literatur-Nobelpreis. Man könnte meinen, er habe seinem knapp 23 Jahre älteren Freund und Mentor damit einen Gefallen erweisen wollen. Einmal, das war 1919, das Jahr, in dem Andersons eigenartige Kurzgeschichtensammlung „Winesburg, Ohio“ für Aufsehen sorgte. Doch fügte Hemingway hinzu, Anderson wäre nun weit vom Kurs abgewichen. Anderson verlor sich in seinen folgenden Werken in ausufernden Wiederholungen und subtilen, überflüssigen Feststellungen, welche eine existenzielle Frage aufwerfen sollten, aber nur lächerlich bemüht wirkten. Winesburg, Ohio jedoch war sein Meisterwerk, das sich auszeichnete durch einen pragmatischen Stil und schlichte, dabei manchmal biblische Sprache, umgesetzt in der Form der interlinking short story – mehrerer Geschichten, die ein Ganzes zu ergeben scheinen, umgeben von dem Schleier eines Mysteriums, den der Leser zu lüften sucht, es aber nicht vermag. Denn das vermeintliche Mysterium ist keines – Winesburg sei vielmehr von Verrückten bevölkert. So jedenfalls argumentiert Daniel Kehlmann, der nicht nur das Nachwort des im Januar 2012 publizierten Buches geschrieben hat, in dem er – wie immer literaturtheoretisch äußerst fundiert – die Rezeptionsgeschichte des Buches erklärte; nein, er ließ es sich darüber hinaus nicht nehmen, zuvor – 2009 – selbst Teil jener Autoren zu werden, die bewusst an die Tradition Andersons anknüpften. „Ruhm. Ein Roman in neun Geschichten“ hat er sein bislang letztes Stück Prosa genannt, in dem er die interlinking short story meisterhaft in das Zentrum seiner Erzählkunst stellte. Winesburg, Ohio wiederum erfuhr im Januar des letzten Jahres gleich zwei Neuauflagen; eine – die hier vorgestellte – aus dem bewährten Züricher Manesse Verlag mit Daniel Kehlmanns Nachwort; die andere stammt aus dem Hause Schöffling in Frankfurt a.M. und ist übersetzt und mit einem Essay versehen von dem handwerklich äußerst versierten Mirko Bonné. Was hat zu der neuen Beachtung – man möchte fast sagen „Anderson-Renaissance“ – geführt? Es wird behauptet, es wäre die Aktualität der Geschichten, dass sie noch immer nicht an Relevanz verloren hätten. Genau das muss aber relativiert werden: Anderson hat mit Winesburg die Vision eines Ortes geschaffen, in dem die Zurückgebliebenen sich zusammenscharren, und genau deshalb mag das einzige Anzeichen der Moderne in dem Buch die an einigen Stellen erwähnte Industrialisierung sein, die jedoch nicht erst im 20. Jahrhundert begann, und so verdichtet sich der Befund: Winesburg ist eine kleine Stadt der Vergangenheit. Zeitlos modern jedoch ist die Erzählweise Andersons, der sich selbst vielleicht in dem immer wieder auftretenden Journalisten George Willard verewigt. Andersons Ausgangspunkt ist, grob gesagt, dass Wahrheiten Leute zu grotesken Gestalten machen können. Anderson wurde so eine groteske Gestalt. Wir kennen die Wahrheiten nicht, die ihn leiteten. Wir wissen nur, dass er zuerst Hemingway und Faulkner – beide später Literaturnobelpreisträger – bei ihren ersten Versuchen unterstützte, ihnen gute Kontakte verschaffte – bis sie in ihm nur mehr einen lächerlichen alten Mann sahen, der ab und an dazu neigt, Geschichten zu erzählen…

Johannes Bolte


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